Die Teitekerlken und die Steinhauer
(Eine Sage aus Havixbeck und Billerbeck)
Vor langer Zeit wurde in den Baumbergen begonnen, Sandsteinblöcke zu schlagen, um wunderschöne Kirchen im Münsterland und weit darüber hinaus zu bauen. Die Steine für den Dom zu Münster holten starke Männer aus Havixbeck und Billerbeck aus den Baumberger Domkuhlen. Darunter waren auch Ludwig und seine Söhne Johannes und Heinrich. Ludwig und Johannes waren fleißig und arbeiten genau, jeder arbeitete gern mit ihnen. Heinrich aber war ein Tagträumer und schaffte oft weniger als die anderen.
Im Steinbruch konnten die Männer gutes Geld verdienen, die Arbeit war angesehen, aber sie war hart und auch gefährlich. Manchmal löste sich oben im Steinbruch ein Stein, fiel herunter und brachte die Arbeiter in Gefahr. Es war schon sonderbar, wo sich manchmal ein Stein löste. Oft waren es Stellen, an denen niemand gearbeitet hatte. Manche Steinhauer glaubten daran, dass kleine Erdgeister, die Teitekerlken, ihnen das Leben schwer machten, doch andere lachten sie aus.
Um die Mittagszeit setzten sich die Arbeiter immer an den Rand des Steinbruchs in den Schatten und aßen ihr Bütterken - ihr Butterbrot, das sie als Verpflegung mitgebracht hatten. Dazu gab es einen großen Schluck braunen Korn. In den Baumbergen herrschte allgemein der Glaube, dass dieser Korn die Männer vor dem üblen Staubhusten schützte, der viele Steinhauer jung ins Grab brachte.[1]
Als Ludwig nach getaner Arbeit seine Sachen zusammensuchte, um nach Hause zu gehen, konnte er seine Mütze nicht finden, die er in den Schatten gelegt hatte. Er suchte und suchte, aber sie war verschwunden. Die anderen Steinhauer lachten und riefen: „Deine Mütze haben die Teitekerlken versteckt!“
Am kommenden Tag gab es einen ganz ähnlichen Vorfall. Am Abend wollten die Männer den Steinbruch verlassen, aber Johannes konnte sein Halstuch nicht finden, das er auf seine Tasche gelegt hatte, als er sehr schwitzte. Auch er wurde ausgelacht: „Wie der Vater lässt du dir deine Sachen von den Teitekerlken stibitzen!“
Auch am nächsten Tag brachen die Steinhauer fleißig Steinquader für den Dom aus dem Felsen. Die Mittagspause wurde wie immer im Schatten verbracht, auch von Ludwig, Johannes und Heinrich. Dann verschlossen Ludwig und Johannes ihre Schnapsflaschen sorgfältig. Heinrich jedoch ließ seine offen stehen, denn er war mit seinen Gedanken ganz woanders.
Als es Nachmittag wurde, begannen die Arbeiter zu spotten: „Heute wirst du es wohl sein, Heinrich, dem die frechen Erdgeister etwas klauen. Gestern der Bruder, vorgestern der Vater, heute du! Wir sind gespannt, was du dir wegnehmen lässt!“
Immer wieder schaute Heinrich zu seiner Tasche im Schatten, aber er konnte die kleinen Diebe nie sehen. Am Abend klopften sich die Männer den Staub von der Kleidung und gingen lachend zu ihrem Ruheplatz. Heinrich schaute nach seiner Mütze, die war da. Dann schaute er nach seiner Tasche, die war auch da.
Erleichtert wollte er seine Schnapsflasche einpacken und sich auf den Heimweg machen, da merkte er es: „Seht euch das an, liebe Freunde, mein Schnaps leer! Wer hat ihn nur heimlich ausgetrunken, als wir gearbeitet haben?“
„Ja, wenn das nicht die Teitekerlken waren!“, antwortete einer.
„Sie mögen deinen Schnaps lieber als deine Mütze oder deine Tasche“, lachte ein anderer.
„Nun wissen wir, wie man sie friedlich stimmen kann, die kleinen Quälgeister“, rief begeistert ein dritter.
Seit diesem Tag stellen die Steinhauer immer ein Schälchen Schnaps für die Teitekerlken in den Schatten, damit die Erdgeister zufrieden sind und weniger Schabernack treiben. So können die Männer in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen.
geschrieben von Franziska Dittert
mit einer Zeichnung von Ottilie Dittert
[1] Heute wissen wir, dass die einzigartige Zusammensetzung des Baumberger Sandsteins der wahre Grund für die gute Gesundheit der Arbeiter war.
Das goldene Fohlen
(äthiopisches Märchen)
Es war einmal ein armer Bauer namens Tadesse, der lebte nahe der Stadt Goba. Er besaß nur ein paar Ziegen und zwei Pferde.
Einmal brachte die Stute im Frühling ein Fohlen zur Welt, das ein goldglänzendes Fell hatte, stark und wunderschön war.
Zur Regenzeit kam ein reicher Kaufmann in Tadesses Dorf, sah das Fohlen und wollte es sofort kaufen.
Obwohl Tadesse das Geld dringend brauchte, verkaufte er das Fohlen nicht.
Das Fohlen wurde immer schöner und stärker, aber es fraß auch sehr viel Gras. Bald reichte das Gras auf der Wiese von Tadesse nicht mehr für seine Ziegen, die zwei Pferde und das Fohlen.
Tadesse liebte das Fohlen sehr, darum wollte er es nicht verkaufen. Aber er war zu arm, um Futter für das Fohlen dazuzukaufen.
Als die Regenzeit vorüber war, besuchte der Fürst die Stadt Goba. Tadesse nahm sein Fohlen und lief in die Stadt.
Dort war alles festlich geschmückt. Auf dem Marktplatz und in den Straßen musizierten viele Künstler. Köche und Bäcker boten ihre Leckereinen an.
Am frühen Nachmittag ritt der Fürst die Hauptstraße entlang und empfing dann seine Untertanen auf dem Markplatz.
Tadesse ging zum Fürsten und brachte ihm das goldene Fohlen als Geschenk. Der Fürst bewunderte das schöne Tier und freute sich sehr darüber. Als er Tadesse danken wollte, war dieser schon in der Menschenmenge verschwunden.
„Diesen großzügigen Menschen müsst ihr unbedingt finden. Obwohl er so arm ist, machte er mir dieses wertvolle Geschenk und hat nicht dafür erwartet. Ich möchte mich bei ihm bedanken“, sprach der Fürst zu seinen Dienern.
Doch die Diener konnten Tadesse nicht finden, denn er war schon auf dem Rückweg in sein Dorf. Dort lebte er noch viele Jahre glücklich und zufrieden.
nacherzählt von Franziska Dittert
mit einer Illustration von Heather Green